Was uns der Wege-Hans berichtet:
Daß ein Bergwachtler einen guten Schutzengel braucht, ist
bekannt. Die Einsätze können gelegentlich riskant sein.
Zu den riskantesten Einsätzen gehört das Freibier.
Solches gab es vor Jahren auf der Tutzinger Hütte aus
Anlaß eines runden Jahrestages und weil der Vorstand oben
tagte. Nicht bei jeder Vorstandssitzung gibt's Freibier, da
bekäme man immer schnell alle Würdenträger zusammen.
Und da der Vorstand allein mit der vorhandenen Menge des von der
Brauerei gestifteten Freibieres der Alkoholvergiftung sehr nahe
gekommen wäre, waren auch andere Mannen , deren Anwesenheit
rein zufällig war, zum Umtrunk aufgefordert,
selbstverständlich auch unsere Nachbarn von der Bergwacht.
Unter den anderen Nutznießern auch mein bester Wegebauhelfer,
der Schwaller Josef. Für insider ist der Josef ein
feststehender Begriff, sein eigenes Denkmal hat er sich mit der
"Schwaller-Mauer" gesetzt , aber für alle anderen muß
gesagt werden, daß er ein Salesianerbruder ist, der
beeindruckenste, den ich kenne. Also, auch Josef war beim
Freibier.
In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages, es kann
auch schon nach Mitternacht gewesen sein, machte er sich auf den
Heimweg, im konkreten Fall von der Tutzinger Hütte zur
Hausstattalm, also gute 25 Meter. Bei seiner Verbindung zu den
Himmlischen erhielt er von ganz oben die Einflüsterung, sich
doch nochmals umzuschauen. Und was sahen seine mäßig
verschleierten Augen : Auf dem Hang zur Bergwachthütte
leuchtete ein kleines Licht. Jeder andere hätte in dem betont
entspannten Zustand, der zwischen der 2. bis 3. Maß eintritt,
zielstrebig seine Lagerstatt aufgesucht, nicht so der Josef.
Entsprechend den Einflüsterungen der Himmlischen, denn nur so
ist es zu erklären, machte er sich auf den Weg: Zurück
zur Hütte, über den Bach und den Hang zur
Bergwachthütte hinauf. Bei dem Licht angekommen fand er einen
Bergwachtler, voll des süßen Bieres und in tiefstem
Schlaf; nur die Stirnlampe brannte noch
dienstvorschriftsmäßig. Es war Mitte Oktober, wir hatten
gediegenen Nachtfrost und auf dem Ostaufstieg lag Schnee. Die
Morgenstunden hätten den Bergwachtler wahrscheinlich
tiefgekühlt im Paradies gesehen, was sicher nicht seinen
Intentionen entsprochen hätte. Da der Mensch in dem
geschilderten Zustand jeder Form gütlicher Zusprache nicht
mehr zugänglich ist, lud sich der Josef den Bergwachtler auf
den Buckel um ihn - hangaufwärts ( ! ) - zur
Bergwachthütte zu tragen.
Sein dabei nicht mehr perfekt funktionierendes Gleichgewichtssystem
erschwerte die Aktion zusätzlich, aber wer den Josef kennt,
weiß, daß der Werbeslogan: " Geht nicht ,gibt`s nicht "
von ihm stammt. Der Bergwachtler wurde am Ort seiner Bestimmung
abgeliefert.
Wie ich oben erwähnte, ist der Schwaller Josef einer der
erstaunlichsten Menschen, die ich kenne. Folglich war er auch
höchst erstaunt, daß der Bergwachtler am anderen Tag
erschien und sich für die Lebensrettung bedankte. "Geh, des
hätt`s do net braucht " sagt man dann in Bayern.